Advent - anders als erwartet - Mit den Kranken und Alten auf dem Weg nach Bethlehem
23.12.2025
privat; Weiterverwendung nicht gestattet
Es ist nicht mehr weit, bis ich ankommen werde. Ich habe Zeit und höre Glockengeläute einer Kirche. Ich betrete die Kirche und finde mich in einem Gottesdienst wieder. Die Kirche ist dunkel und nur mit Kerzen beleuchtet. Dadurch erscheint die Kirche viel mystischer und heiliger. Vorne brennen die Kerzen des Adventskranzes. Vier Kerzen sind entzündet. Die Adventslieder, die gesungen werden, wecken in mir Sehnsucht und Zufriedenheit. Ich nehme Platz in einen der hinteren Bankreihen. Ich möchte einfach nur hier sein und mich fallen lassen. Sehr nachdenklich trifft mich die Geschichte, die erzählt wird. Auf dem Weg nach Bethlehem mit den Armen und Kranken:
Aus dem Seniorenstift sind kurz vor Weihnachten zwei alte demente Damen spurlos verschwunden. In ihrem Zimmer haben sie einen Brief hinterlegt.
Die Leiterin des Seniorenstifts Frau Bleibtreu ruft bei der Vermisstenstelle der Polizei an, schildert den Sachverhalt und liest aus dem Brief der beiden alten Damen vor.
Frau Bleibtreu ruft an:
„Hier Frau Bleibtreu vom Seniorenstift Lebensglück. Könnte ich bitte einen Beamten für Vermisstenmeldungen sprechen!”
Polizeibeamter:
„Hier Polizeidienststelle München Nord, Franz Helfer. Womit kann ich ihnen helfen?”
Frau Bleibtreu:
„Ich möchte eine Vermisstenmeldung machen. Zwei unserer schon etwas dementen Bewohnerinnen sind wohl seit gestern Abend spurlos verschwunden. Heute Morgen, als unsere Pflegekraft ins Zimmer der beiden Damen kam, waren sie nicht mehr da. Stattdessen lag ein Brief an die Heimleitung auf einem Bett.
Darf ich Ihnen den Brief zum besseren Verständnis meines Anliegens kurz vorlesen?“
Polizeibeamter:
„Ja bitte. Wir möchten gerne das Gespräch für unsere weiteren Ermittlungen aufzeichnen, wenn sie damit einverstanden sind.Wir nehmen die Vermisstenanzeige auf. Und werden nach den beiden suchen.“
Frau Bleibtreu liest vor:
„Seit Kindheitstagen haben wir zu Hause immer die weihnachtliche Stimmung über alles geliebt und haben oft als Kinder die Weihnachtsgeschichte nachgespielt und uns als Maria und Josef verkleidet. Dann waren wir auf der Herbergssuche in Bethlehem, das wir in unserem Kinderzimmer gestaltet haben. Der Stall war unter unserem kleinen Tisch im Zimmer, wo wir unsere Lieblingspuppe als Jesuskind verkleidet hatten und in eine Schachtel gelegt haben. Dann haben wir eine Kerze angezündet und das Licht in unserem Zimmer ausgemacht und haben gebetet.
Früher haben wir gespielt und vieles nicht verstanden. Je älter wir nun sind, umso mehr spüren wir, dass es gar kein Spiel war. Sondern dass wir eine tiefe Sehnsucht nach dem Kind in der Krippe verspürt haben. Eine Sehnsucht, die uns unser Leben lang begleitet hat. Unsere körperlichen Kräfte lassen nach und unser Gedächtnis lässt uns immer mehr im Stich und wir vergessen so vieles. Jetzt sind wir schon so alt und wollen jetzt nach Bethlehem zum richtigen Jesuskind, das uns Menschen alle zu sich eingeladen hat.
Seien sie uns bitte nicht böse. Uns wird nichts fehlen.“
„Das ist der Brief, den uns die beiden Damen hinterlassen haben. Und wir haben keinen Anhaltspunkt, wo wir die Damen finden können. Die beiden Damen sind ungefähr 1,60 Meter groß und tragen beide jeweils einen grauen Mantel.”
Polizeibeamter:
„Haben Sie eine Idee, wo sie sein könnten?”
Frau Bleibtreu: „Na, ja… Ich habe es mir auch schon überlegt: Im Keller haben wir unsere Krippe. Ich habe gedacht, dass sie vielleicht sie für Bethlehem halten. Aber sie waren nicht dort.
Vielleicht suchen sie das Christkind in ihrer Kindheit und gehen zu ihrem Geburtshaus. Aber es existiert nicht mehr.
Oder sie wollen tatsächlich nach Bethlehem fliegen und sind schon am Flughafen...
Ich bin ratlos.”
Polizeibeamter:
„Frau Bleibtreu, warten sie bitte einen Moment. Ein Kollege hat mir gerade zugenickt und mitgeteilt, dass vergangene Nacht zwei alte, etwas verwirrte Damen aufgefunden worden sind, die etwas von einem Weg nach Bethlehem erzählt haben. Und sie haben lächelnd erzählt, dass sie nun wüssten, wo Bethlehem mit dem Christuskind sei. Als sie der Beamte dann fragte, wo sie denn Bethlehem mit dem Christuskind gefunden hätten.”
Frau Bleibtreu:
„Sie haben also Bethlehem mit dem Christuskind gefunden. Wo kann es wohl gewesen sein? Wo ist Bethlehem heute? Wo ist Bethlehem heute für mich?”
Frau Bleibtreu: „Herr Helfer, was haben nun die Damen geantwortet? Wo ist Bethlehem mit dem Christuskind?”
Polizeibeamter:
„Die alten Damen lächelten und antworteten:
Wir dachten, wir müssten da eine große lange Reise antreten. Aber das ist gar nicht so. Sondern das sei ganz einfach. Wir wissen nun: Bethlehem mit dem Christuskind ist ganz nah bei uns. In unserem Herzen. Und wir haben es unser ganzes Leben mit uns getragen, ohne dass wir es erkannt haben.“
Frau Bleibtreu:
„Wir sind froh, dass die beiden Damen wohl behalten sind. Und jetzt, wo sie wissen, wo Bethlehem liegt, werden sie wohl nicht mehr auf eine weite Reise gehen müssen.”
Aber was sie gesagt haben, bringt mich richtig zum Nachdenken.
privat