Das kleine Wunder
18.10.2025
„Aufführung der Theater-AG: Shakespeare – ein Sommernachtstraum."
Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden, begrüßt uns mit gewognen Händen!" Als Waldelf Puck seinen Schlussmonolog beendet hat und der Vorhang gefallen ist, gibt es den wohlverdienten donnernden Applaus. Und „Standing ovations" für die jugendlichen Schauspieler.
„Ihr wart wirklich klasse”, lobe ich später. „Besonders dein Puck hat mir exzellent gefallen”, sage ich zu dem jungen Mann, der inzwischen sein Kostüm als Kobold wieder ausgezogen hat. „D-d-d-danke!”, lächelt er glücklich, und in diesem Moment weiß ich: Es war nur ein kleines Wunder.
Erst wollte man Michael gar nicht mitspielen lassen wegen seines Stotterns. Seit vielen Jahren schon hat er diese Probleme – und sich so manchen Hohn und Spott gefallen lassen müssen. Aber Gott-sei-Dank hat die Leiterin der Theatergruppe ihm eine Chance gegeben – und als Michael zum ersten Mal in seinem Kostüm auftrat, war er wie verwandelt: Er sprach seinen Text fließend. Ohne auch nur einmal ins Stocken zu kommen.
Wie sehr hatten wir alle nun gehofft, dieses Erfolgserlebnis könnte ihn heilen und eine dauerhafte Besserung garantieren. Nichts dergleichen.
Als ich später mit ihm zusammensitze, erklärt er mir, warum an eine längerfristige Veränderung kaum zu denken war. „Im St-st-st-stück war ich doch Puck, der Waldelf. Da habe nicht ich selbst gesprochen, da hat es in mir geredet und durch mich. Aber jetzt bin ich wieder Michael. Jetzt brauche ich m-m-m-meine eigene Stimme wieder ...”