Advent - Der kluge Esel

20.12.2025

Bild zum Geistlichen Word

Tobias Rückert

ebendort

Wie lange bin ich nun schon unterwegs? Tage, Wochen und immer wieder verwandelt sich die Natur, die Gegend, die ich durchstreife. Immer neue Blicke eröffnen sich mir. Im Einklang mit der Natur, das Licht, das je nach Tageszeit die Landschaft unterschiedlich erscheinen lässt. Es kommt mir in den Sinn, dass es also auch bei den Menschen so ist, je nachdem von welchem Licht sie beschienen werden, erscheinen Sie in einem anderen Licht. Ich muss also immer wieder neue Blickrichtungen einnehmen um den anderen zu verstehen. 

Auf meinem Weg kommt mir ein Bauer entgegen, der den beschwerlichen Weg durchs Gebirge mit seinem Esel unterwegs ist. Ein einfacher Bauer, dessen Gesicht schon vom Wind und der Sonne gezeichnet ist. Die Falten und die einfache Kleidung zeugen von einem harten Arbeitsleben. Sein Esel ist voll bepackt mit allerlei Sachen, die für den Bauern und seine Familie wichtig sind. Was so ein Esel alles tragen kann. Und gerade in dieser unwirtlichen Gegend ist man schon gesegnet, wenn man einen Esel hat, der einem die Last abnimmt. Ich grüße den Mann und er lächelt mir zu und grüßt mich freundlich. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt mir von seinem Tier, das ihm schon so viele Dienste geleistet hat. Er bietet mir einen Schluck aus seiner Wasserflasche und ein paar Datteln an. Ich nehme sie dankbar. Dann erzählt er mir noch eine kleine Geschichte, die mich sehr erheitert und mein Vorurteil über die ach so dummen Esel Lügen straft:

Eines Tages fiel der Esel eines Bauern in den Brunnen. Mitleid erregend schrie das Tier Stunde um Stunde, während der Bauer überlegte, was zu tun sei. Zuletzt kam er zu dem Schluss, dass das Tier doch sehr alt sei und dass der Brunnen sowieso aufgefüllt werden müsse, dass es somit nicht der Anstrengung wert sei, den Esel zu retten. Er lud alle seine Nachbarn ein, ihm zu helfen. Und so griffen sie alle zur Schaufel und begannen Erde in den Brunnen zu füllen. Sofort erkannte der Esel, was da gespielt wurde, und schrie herzzerreißend. Nach einiger Zeit ließ sein Geschrei zur Verwunderung aller plötzlich nach. Einige Schaufelladungen später schaute der Bauer in den Brunnen hinunter und was er sah, erstaunte ihn sehr. Mit jeder Schaufel Erde, die auf seinem Rücken landete, tat der Esel etwas Erstaunliches: er schüttelte sie ab und stellte sich darauf. Und sowie der Bauer und seine Nachbarn mehr Erde hinunter schaufelten, so schüttelte er auch diese ab und stieg dabei Schritt für Schritt höher. Nachdem nun einige Zeit vergangen war, erschienen zum Erstaunen aller die Vorderbeine des Esels über dem Brunnenrand - und schließlich sprang das ganze Tier heraus.

 

Manfred Rütsche

privat